Update zum Urlaubsrecht

In den vergangenen Monaten haben Gerichte und Gesetzgeber erneut und mit zum Teil erheblichen Auswirkungen auf die Praxis Rechtssetzung im Bereich des Urlaubsrechts betrieben. Der nachfolgende Überblick soll helfen, daraus entstandene Unklarheiten nach Möglichkeit zu entwirren.

 

1. Neues zur Verjährung von Urlaubsansprüchen

Bereits Ende des vergangenen Jahres hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Folge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu der Frage positioniert, wann und unter welchen Voraussetzungen Urlaubsansprüche verjähren können. Das BAG befand hierzu, dass die (dreijährige) gesetzliche Verjährungsfrist für den Anspruch auf Gewährung von Erholungsurlaub erst mit Ablauf desjenigen Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer individuell über seinen konkret (noch) bestehenden Urlaubsanspruch informiert und ihn über etwaig bestehende Verfallsfristen in Kenntnis gesetzt hat, und der Arbeitnehmer den Urlaub gleichwohl nicht genommen hat. Mit dieser Rechtsprechung erlegt das BAG dem Arbeitgeber insoweit eine entsprechende Mitwirkungsobliegenheit auf; dies ist dabei zumindest insoweit konsequent, als das BAG dieselbe Obliegenheit bereits seit längerer Zeit als gegeben ansah, wenn sich ein Arbeitgeber auf den Verfall von Urlaubsansprüchen aufgrund einer vertraglichen Ausschlussfristenregelung berufen wollte.

 

2. Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen

Hinsichtlich der Frage der Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen, also der Frage der „Auszahlung“ von nicht genommenen Urlaub nach Ende des Arbeitsverhältnisses, hat das BAG (aber) erfreulicherweise klargestellt, dass diese Ansprüche als reine Zahlungsansprüche nicht zwingend das Schicksal der ihnen zugrunde liegenden Urlaubsansprüche teilen. Dies bedeutet, dass die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung „ganz normal“ der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB unterliegen; dies gilt dabei auch dann, wenn der Arbeitgeber zuvor hinsichtlich der Urlaubsansprüche seine Mitwirkungspflichten – siehe Ziffer 1 – verletzt hat. Einschränkend hat das BAG allerdings darauf hingewiesen, dass sowohl eine Verjährungs- als auch eine Ausschlussfrist für derlei Ansprüche nicht vor Ende des Jahres 2018 habe zu laufen beginnen können. Hintergrund ist, dass der EuGH erst mit einem Urteil aus November 2018 die oben beschriebene Mitwirkungsobliegenheit ausgeurteilt hatte; nach Auffassung des BAG war es Arbeitnehmern aus diesem Grunde auch erst von diesem Zeitpunkt an zumutbar, ihre entsprechenden Ansprüche geltend zu machen. Gleichwohl dürfte der Löwenanteil der Urlaubsabgeltungsansprüche aus der Vergangenheit zwischenzeitlich verjährt sein – und auch für zukünftige Ansprüche herrscht nun bezüglich deren Verjährung Rechtssicherheit

 

3. Verfall von Urlaubsansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit

Bezüglich des Verfalls von Urlaubsansprüchen, die vom Arbeitnehmer aufgrund von Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnten (dies ein “Dauerbrenner“ des Urlaubsrechts), hat der Grundsatz der Mitwirkungsobliegenheit differenzierte Folgen. Bislang verfielen derartige Ansprüche bei fortgesetzter Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Jahres, in dem sie entstanden waren. Nunmehr gilt dies weiterhin, d. h. auch bei einer Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit durch den Arbeitgeber – siehe Ziffer 1 – in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer das gesamte betreffende Urlaubsjahr durchgehend erkrankt war; denn in diesem Fall hätte der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht nehmen können, selbst wenn er vom Arbeitgeber ordnungsgemäß belehrt worden wäre. War der Arbeitnehmer aber nur einen Teil des betreffenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, treffen die Mitwirkungsobliegenheiten den Arbeitgeber in vollem Umfang, d. h. die verbleibenden Urlaubsansprüche verfallen anders als bei einer ganzjährigen Erkrankung nicht nach Ablauf des 15-Monats-Zeitraums.

 

4. Anwendungsbereich der Mitwirkungsobliegenheit

Die vorgenannten Grundsätze gelten zunächst einmal für den gesetzlichen Urlaubsanspruch nach Maßgabe des Bundesurlaubsgesetzes. Nach einer weiteren Entscheidung des BAG gelten sie zudem auch für den Zusatzurlaub, der schwerbehinderten Menschen nach Maßgabe des Sozialgesetzbuchs IX zu gewähren ist. Soweit der Arbeitgeber über die gesetzlichen Urlaubsansprüche hinaus freiwillig Zusatzurlaub gewährt, sind die Grundsätze auf diesen aber zumindest dann nicht anwendbar, wenn diesbezüglich eine entsprechende vertragliche Regelung besteht. Es ist daher (wie freilich schon auch bisher) dringend zu empfehlen, bezüglich etwaig zu gewährenden Zusatzurlaubs im Arbeitsvertrag ausdrückliche Regelungen zu treffen.

 

5. Quarantäne vs. Urlaubsanspruch

Unterschiedlich beurteilt wird seit Beginn der Corona-Pandemie die Frage, ob bereits bewilligte Urlaubstage durch eine vom Gesundheitsamt angeordnete Quarantäne verbraucht werden, oder ob die Quarantäne der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub denklogisch entgegensteht. Das BAG hat diese von den Instanzgerichten unterschiedlich beantwortete Frage zuletzt dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt – eine solche steht allerdings gegenwärtig noch aus. Jedenfalls aber für Fälle, die ab dem 17. September 2022 aufgetreten sind, hat der Gesetzgeber selbst Klarheit geschaffen; § 59 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes regelt ausdrücklich, dass derartige Urlaubstage während einer behördlich verfügten Quarantäne dem Beschäftigten gutgeschrieben werden müssen. Nicht nur aus juristischen Gründen wäre es aber wünschenswert, dass sich diese Fragestellung zumindest in Zukunft möglichst nicht wieder ergibt. (MJ)

Die „Inflationsprämie“

Noch bis 31. Dezember 2024 haben Arbeitgeber die Möglichkeit, ihren Arbeitnehmern eine sogenannte „Inflationsausgleichsprämie“ in Höhe von bis zu 3.000 € steuer- und sozialversicherungsfrei zu zahlen.

 

Zweck dieser Prämie ist die Linderung der allgemeinen Inflationsfolgen für Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber darf daneben auch weitere Zielsetzungen mit der Prämienzahlung verfolgen, sollte dabei aber darauf achten, dass diese den eigentlichen Zweck nicht verdrängen. Ferner ist darauf zu achten, dass die Prämie nur dann steuer- und sozialversicherungsrechtlich privilegiert sind, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt (wozu auch Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, Boni usw. zählen) gezahlt wird. Es ist also nicht möglich, ein üblicherweise gezahltes Weihnachtsgeld im betreffenden Jahr nicht zu gewähren und stattdessen die Inflationsausgleichsprämie zu zahlen. Die Prämie kann dabei entweder als Einmalzahlung oder aber auch in beliebig vielen Raten oder Teilzahlungen geleistet werden.

 

Ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf die Prämie besteht weder in voller, noch in anteiliger Höhe. Die Zahlung liegt insoweit allein im Ermessen des Arbeitgebers. Hier ist jedoch darauf zu achten, dass bei der Entscheidung, welche Mitarbeiter die Prämie überhaupt bzw. in welcher Höhe erhalten, der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten werden muss. Der Arbeitgeber darf hier die Arbeitnehmer nur dann unterschiedlich behandeln, wenn er hierfür einen rechtlich billigenswerten sachlichen Grund hat. So könnte beispielsweise eine Prämie nur an Arbeitnehmer mit geringerem Einkommen ausgezahlt werden, da diese durch die hohe Inflation wohl verhältnismäßig stärker belastet sein dürften als besserverdienende Mitarbeiter. Die Auszahlung der Prämie nur an Vollzeitmitarbeiter dürfte dagegen eine unzulässige Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten darstellen. Eine Auszahlung anteilig nach Maßgabe der geleisteten Teilzeitarbeit hingegen dürfte wiederum zulässig sein. Zulässig ist im Übrigen auch die Vereinbarung einer solchen Prämienzahlung im Rahmen von Vergleichsverhandlungen, beispielsweise bei Kündigungsschutzverfahren. Solange die Prämie nicht eine sonst zwingend erforderliche Abfindungszahlung ersetzt, dürfte ihrer Verwendung als „Verhandlungsmasse“ bei der Beendigung des Rechtsstreits nichts entgegenstehen. (MJ)